Es ging um Petitionen, um Netzpolitik und Katzenvideos. Bei der Re:publica in Berlin trafen sich 5.000 Menschen, um über alles zu reden, was mit dem Internet zu tun hat. Dass sie alle einen Hang zur leichten Beklopptheit haben, macht die Sache nur schöner. Und die Devise lautet: Machen!
Beginnen wir mit dem Ende. Da stehen sie dann also alle da, die Menschen aus dem Internet. Etwa 5.000 Menschen singen völlig schief, laut und voller Inbrunst »Bohemian Rhapsody« und freuen sich wie kleine Kinder, als ein Papierfeuerwerk in die Menge geschossen wird. Es ist der krönende Abschluss der dreitägigen Konferenz, die sich selbst auch »Das Ereignis« nennt.
Multi-view Bohemian Rhapsody at re:publica 2013 from rha:publica on Vimeo.
Ich bin zum ersten Mal da, dabei gibt es sie schon seit sieben Jahren, angefangen damals mit 700 Menschen. Inzwischen sind es Tausende, was ein sicheres Zeichen dafür sein könnte, dass die Re:publica mehr ist als ein Nerdtreffen. Ein weiteres noch sicheres Zeichen, vielmehr der Beweis, sind die Vorträge, die hier geboten werden.
Von Sascha Lobo kriege ich nur die Hälfte mit, weil ich eigentlich am Einlass stehe und Bändchen kontrolliere. Da aber während eines Lobo-Vortrags eh keiner mehr rein will, weil ja alle schon drin sind, werde ich Zeuge der Einführung eines Logos für das Internet. Tata:
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Und der Forderung, sich mal Gedanken zu machen, wie man die Dinge so erklärt, dass auch Merkel sie gut findet. Zudem hat Lobo etwas Neues kreiert: Reclaim the social media. Das habe ich mir noch nicht angeschaut (das Internet frisst immer so viel Zeit). Zu guter Letzt lautet seine Devise, die sich an die zwar viel kommunizierenden, aber weniger agierenden Netzmenschen richtet, oder auch an alle: Machen!
Frustrierender ist der Vortrag von Markus Beckedahl von netzpolitik.org, der unter dem Titel »Unser Blog soll schöner werden« anschaulich erklärt, welche Versuche gescheitert sind oder sinnlos waren, um mit der Seite Geld zu verdienen. Doch wenn sie mit 30.000 Aufrufen am Tag schon kein Geld verdient, wie soll ich, wie soll das der kreuzer, wie soll das dann überhaupt jemals jemand schaffen? Im Endeffekt erscheint auch den Netzpolitik-Machern das aus der taz bekannte Modell des angemahnten, aber freiwilligen Zahlens die beste Möglichkeit zu sein.
Die besten Wortmeldungen aus dem Publikum bekommt der sehr launige Vortrag von Wibke Ladwig, bei dem es um gedruckte Bücher, ebooks und das ganze Drumherum geht:
- »Ich habe beim Umzug gemerkt, dass Bücher viel zu schwer sind. Jetzt habe ich sie alle digitalisiert und mir die Buchcover ausgedruckt und an die Wand gehängt.«
- »Meine Augen werden immer schlechter. Beim ebook kann ich die Schrift vergrößern.«
- »Kochbücher will ich in gedruckter Form. Sonst wechselt der Rechner immer in den Energiesparmodus, wenn ich gerade nach dem nächsten Schritt schauen will. Außerdem lese ich Kochbücher auch gerne im Bett zum Einschlafen.«
Auch der Chef der Daimler AG, Dieter Zetsche, ist da. Schließlich verändert die Vernetzung auch die Mobilität. Ein sympathischer, eloquent erscheinender Mann. Er trägt Sneaker, lese ich später, was wohl als bemerkenswert angesehen wird.
Und dann bin ich wirklich berührt. Tanja und Johnny Haeusler wollten über ihr Buch »Netzgemüse« reden, lassen das aber bleiben und kotzen lieber im Quadrat, wie sie selbst sagen. Schaut euch das unbedingt an, dauert auch nicht lange:
Baden-Württemberg präsentiert sich als fortschrittliches Bundesland, in dem sogar die Musikwirtschaft funktioniert. Zumindest können Menschen in Stuttgart davon leben. Liegt aber vielleicht auch nur an Cro. Dann verschenkt Baden-Württemberg Bier. Tannenzäpfle, versteht sich.
Spiegel Online verschenkt auch Bier. Ich muss ablehnen wegen des vorherigen Tannenzäpfles. Da geben sie mir Mate und Downloadcoads. Beim netzpolitischen Nachmittag wird mir klar, was das überhaupt ist, die digitale Gesellschaft, und dass es wichtig ist, dass es sie gibt. Schon allein wegen der Urheberrechtsdebatte oder Acta.
Daniel Decker vom Kotzenden Einhorn beginnt seinen Vortrag zu Pop und Politics mit Billy Bragg. Hat allein deswegen gewonnen.
Dann kann ich nicht mehr. Zu viel Input, zu viele Menschen, zu viele Smartphones um mich rum. Ich will nach Hause. Aber nein! Nilz Bokelberg und Markus Herrmann kommen auf die Bühne. Nach zwei Minuten ist klar, dass ich unbedingt bleiben muss. Ich renne zum SPON-Stand. Die haben tatsächlich immer noch Bier. Hat das keiner getwittert? Hermi und Nilzi veranstalten eine Preisverleihung an das Internet und verteilen Blumendünger und selbstformbare Flummis in Glitzertüten unter anderem an den besten In-der-5.-Reihe-Sitzer. Zudem gründeten sie die Guten-Tag-Partei, die unter anderem fordert: »Waffen werden nur noch kaputt ausgeliefert« oder »Lehrpläne werden durch das komplette Schlaue Buch aus der Mickey Maus ersetzt«. Was machen diese beiden Typen eigentlich sonst? Egal, ich bin dabei.
Doch Schluss mit dem Quatsch. Unterzeichnen wir lieber wichtige Petitionen für eine bessere Welt. Bei der Diskussion, wieso das sinnvoll ist oder auch nicht, sind die eifrigsten im Publikum zwei CDU-Abgeordnete aus dem Bundestag, die sich mehr Zusammenarbeit wünschen und Applaus bekommen. Lobo wäre stolz gewesen.
Wie man die Welt in zehn Schritten verbessern kann, erklärt Fellix Schwenzel. Und solange dieser Mensch einen Riesensaal füllt und Tausende Follower hat, glaube auch ich, dass eine bessere Welt möglich ist. Da er selbst alle paar Minuten alles zusammenfasst, lasse ich seinen Vortrag einfach so stehen und bediene derweil ausführlich die Klospülung.
Ansonsten lerne ich, wie man mit dummen Kommentaren umgeht, wie ich Twitter nutzen kann, um Protagonisten zu finden oder Romane zu schreiben, und nehme mir vor, mir schnellstmöglich Bücher von Frederic Valin zu besorgen, der wohl als Einziger seine Rede mit handgeschriebenen Notizen hält.
Der letzte Vortrag kommt von Anne Wizorek, die erklärt, was #aufschrei gebracht hat. Einiges! Nach dem Zehntausende Frauen auf Twitter ihre Erfahrungen mit alltäglichem Sexismus beschrieben hatten, verlagerte sich die Debatte auch in die herkömmlichen Medien. Zudem wurden in vielen privaten Kreisen immer wieder Debatten darüber geführt, was okay ist und was nicht. Eine Regel vielleicht: Statt »Du willst es doch auch« muss es einfach »Willst du auch?« heißen. Dass durch den Twitter-Aufschrei so viel passiert ist, dass Wizorek trotz unsäglicher, ekelhafter Reaktionen auch viel Erfolg und Unterstützung erfuhr und auch hier minutenlang beklatscht wird, rührt mich zu Tränen. Mit dem sicheren Gefühl, dass die Menschen im Internet viele gute Dinge bewirken können, geht die RP13 zu Ende. Ach nee, mit »Bohemian Rhapsody«.