Unter dem Motto »Hoch- und Popkultur vereinen« bringt die Audio Invasion Gewandhausorchester und Technofans aus dem Umland zusammen. Musikalischer Höhepunkt dieses Jahr: Die französische Supergroup Versatile Noise Troopers.
Der Mann mit den grauen Haaren ist überfordert. Zehn Menschen stehen vor der verschlossenen Tür des großen Saals und gedenken, sie einfach zu öffnen. »Halt!« ruft er und erklärt den Unwissenden, dass man hier nicht einfach reinspazieren kann, wie man gerade lustig ist, sondern den ersten Satz abwarten muss und damit den Moment, wo er einem höchstselbst die Tür öffnen wird. »Und dann setzen Sie sich ganz leise auf die Treppe«! Auf die Treppe sitzen ist eigentlich streng verboten im Gewandhaus, aber heute ist alles anders.
Menschen mit Glitzer im Gesicht und Drinks in der Hand wanken hier durch die Gänge von Schnaps- zur Bierbar und wollen Party machen – und nebenbei auch das Gewandhausorchester sehen. Wenn man schon mal hier ist. Das spielt »The Young Person’s Guide to the Orchestra« von Benjamin Britten, ein Stück, das auch für Menschen, die keine Ahnung von Orchestermusik haben, schön klingt, nahezu lehrreich ist. Und so applaudiert und kreischt das Publikum, was zu freudigen Gesichtern der Fliegenträger auf der Bühne führt, denen Johlen und Kreischen als Reaktion auf ihr Auftreten eher selten unterkommt.
Hochkultur trifft Popkultur, lautet kurz zusammengefasst das Konzept der Audio Invasion, die Samstagnacht zum siebten Mal stattfand und auch dieses Mal wieder Größen der elektronischen Musikszene ins Leipziger Konzerthaus brachte. Neben Abby, Micronaut oder Hudson Mohawke der Höhepunkt diesmal: Versatile Noise Troopers, die Supergroup der französischen Produzentenszene bestehend aus Gilb’R, I:Cube, Joakim und Etienne Jaumet. Vier Männer stehen im Quadrat an Frickelgeräten, blicken sich gegenseitig an, anstatt das Publikum, das sich auf der Bühne um sie herum versammelt hat.
Dorthin zu gelangen gestaltet sich allerdings schwierig. Schon wieder eine verschlossene Tür. Ein nervöser Security-Mann erklärt, alles sei voll, »wir sind überrannt worden«. Also warten, bis jemand auf Klo muss, und schnell reinhuschen. Drinnen sind die gesamten Sitzreihen leer! Konzept scheinbar. Nur die Bühne ist voll von herumlungernden Menschen, von denen einige zu den eher ambienten Tönen versuchen zu tanzen. Die Künstler eher nicht. Musik zum Zurücklehnen und Wegdriften.
Im Foyer legt derweil Kele Okereke, Ex-Bloc-Party-Sänger, Detroit-Techno auf. Karocel, die sich aus Mathias Kaden, Marbert Rocel und Michael Nagler zusammensetzen, sorgen für bessere Stimmung mit ihren popgetränkten Electro-Klängen. Die Dänin Oh Land gibt sich in rosa Tütti-Kleid und mit grauen Haaren alle Mühe, gute Laune zu versprühen, erzählt, wie sehr sie deutsche Süßigkeiten mag, doch so recht wollen die Leute vor der Bühne nicht abgehen.
Überhaupt scheinen sowohl die Besucheranzahl als auch ihre Euphorie geringer als in den vergangenen Jahren, was zumindest den erfreulichen Effekt hat, sich durch weniger Technofans aus dem Umland drängeln zu müssen, um von einer Bühne zur nächsten zu gelangen. Nur draußen auf dem Raucherbalkon stimmt eine Jungsgruppe einen Fangesang auf das Bayernspiel an. Drinnen hat der grauhaarige Aufpasser aus Versehen drei Gläser und eine Bierflasche umgeschmissen. Die stehen da sonst halt nicht.
Erschien auch auf http://www.intro.de/live/nachlesen/23073432/audio-invasion-so-wars-in-leipzig-partymachen-mit-aufpasser