Früher war mal mehr Lobbyismus

Wenn man einen Tag auf dem Bundesparteitag der SPD mitmacht, merkt man schnell: Die Partei ist am Ende. Und man selbst auch. Ein Erlebnisbericht.

Ein Vater singt mit seinem Sohne – beide in rote Hemden gekleidet – linke Volkslieder. Auf einer für diesen Zweck überdimensionalen Bühne, eine Revue zu 150 Jahren SPD soll das werden. Etwa eine Person hört zu, die von den Vortragenden mit Namen angesprochen wird, ob sie mal das Wasser von dem Stand da hinten holen können. Zehn Minuten später sprengt die Zahl der Menschen auf der Bühne die davor noch eindeutiger. Völker, hört die Signale. Unter einer Decke versteckt sich nun eine Gruppe, die glücklicherweise von einem Sozialdemokraten mit Zauberzylinder gerettet wird. Weiterlesen
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Wir sind nicht rechts, aber …

Nachdem der Plan für den Bau einer Moschee bekannt wurde, soll sich nun in Gohlis eine Bürgerinitiative dagegen gründen. Ein angekündigtes Treffen fand nicht statt, doch brüllten alle schon mal laut. Auch die Neonazis.

Es ist schon dunkel in Gohlis an diesem Mittwochabend um halb acht. Vor dem Gohlis-Center steht eine Menschentraube, 70 Leute etwa. Die Polizei ist da, sogar ein Kamerateam von Spiegel TV. Wer nicht da ist: ein Veranstalter. Jemand der sagt, was eigentlich los ist. Eigentlich war hier ein Treffen angekündigt, bei dem eine Bürgerinitiative gegen den geplanten Bau einer Moschee gegründet werden sollte. Die Ahmadyya-Gemeinde hatte letzte Woche bekannt gegeben, an der Ecke Georg-Schumann-Straße/Bleichertstraße eine Moschee bauen zu wollen, Baubürgermeisterin Dubrau signalisierte Zustimmung für den Bau.

»Aber warum denn gerade hier?«, fragt eine Bürgerin irgendwen, der gerade neben ihr steht. Da scheinbar heute doch keine Bürgerinitiative gegründet wird, man aber nun schon mal da ist, wird sich untereinander Luft gemacht. Mit »Uns hat keiner gefragt«, »Wir wussten von nichts«, »Immer über unsere Köpfen hinweg« äußert sich der Unmut darüber, dass man aus der Zeitung von den Plänen der Muslime erfahren musste. Und dass der jetzt geplante Standort ja nun gar nicht ginge. »Da ist eine Schule daneben!«, wiederholt eine Frau immer wieder. »Eine Schule!« Eine andere verweist darauf, dass da nicht nur eine Schule daneben sei, sondern auf der anderen Seite auch noch die Burschenschaften. »Da ist doch Krawall vorprogrammiert.« Weiterlesen

Die Beschissenheit der Dinge

Eigentlich sollte dieser Text eine überschwängliche Rezension werden. Jubelnd über das grandiose neue Album von Almut Klotz & Reverend Dabeler. Darüber, dass Lass die Lady rein ein melancholisches, manchmal fast witziges Album im Genre Kaputtes Liebeslied geworden ist. Alle Stücke mit dem Wissen gesungen, dass die Beschissenheit der Dinge ohne den anderen noch viel schwerer zu ertragen wäre, wie es in Welt retten heißt. Und man zur Not immer noch auf den Tischen tanzen kann, bis der Saal zerfällt.

Und jetzt ist Almut Klotz tot. In der vergangenen Woche an Krebs verstorben. Sie wird die Veröffentlichung ihrer Platte nicht mehr erleben und auch nicht mehr mit Reverend Dabeler auf die schon gebuchte Tour gehen.Was bleibt, sind ihre Lieder. Nun durchsucht man sie nach Zeichen, Sätzen und Wegen, die durch die Trauer helfen könnten. Und findet Trost in der Wehmut und Angst, die das neue Album prägen – stets liebevoll lakonisch vorgetragen.

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Komm mal zur Ruhe, Micha

Ein Stadionbesuch beim Abschiedsspiel von Michael Ballack

»FC Karl-Marx-Stadt-Zone« verkündet ein Aufkleber an der Laterne am Waldplatz. Und so sieht die Zone dann aus: Knapp 45.000 Menschen strömen gen Stadion, nicht wenige tragen weiße Deutschlandtrikots mit der Nummer 13 und dem Namen Ballack. Denn der Micha gibt sein Abschiedsspiel und alle sind sie da: Der Chemnitzer FC mit Vereinsbus, Weltsportler wie Boris Becker auf der Tribüne und Michael Schuhmacher aufm Platz.

Da steht aber erst mal Johannes B. Kerner und gratuliert RB zum Aufstieg in die dritte Liga. Buhrufe! Und Jogi kriegt auch gleich welche ab, wo er schon mal hier ist, und doch damals den Micha nicht mehr hat mitspielen lassen.

Ciao Capitano!

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Where are we now?

Auch wenn man seit 30 Jahren im Osten lebt, hat man keine Ahnung, was hier los war. Weil es kaum thematisiert wird, wenn man nicht »Opa erzählt vom Krieg« spielt oder die SuperIllu liest. Ein Beitrag in der Reihe „Wir Zonenkinder? Suchbewegungen zwischen Ostalgie und Retro“.

Ich weiß genau, wann Benno Ohnesorg erschossen wurde: 2. Juni 1967. Ich kenne dieses Datum auswendig, weil ich es schon so oft gehört und gelesen habe. In Dokumentarfilmen oder in Feuilleton-Artikeln. Ich weiß ziemlich gut Bescheid über die 68er-Studentenbewegung, über die RAF, über Minister in Turnschuhen. Ich kenne die Texte von NDW-Hits auswendig, die von Rio Reiser sowieso. Ich habe das Foto von Willy Brandts Kniefall gefühlte tausendmal gesehen, ich habe Helmut Schmidts Meinung zu irgendwas so oft gelesen, dass ich schon überlege, Die Zeit abzubestellen. Wenn ich mich konzentriere, kann ich alle Bundeskanzler seit Adenauer aufzählen. Ich wurde seltsam nostalgisch, als ich David Bowies Video zu »Where are we now« sah, dabei war ich 1977 noch lange nicht geboren, geschweige denn nightclubbing unterwegs. Als Teenagerin habe ich Christiane F.s »Kinder vom Bahnhof Zoo« verschlungen. Die BRD ist mir kein Rätsel, sie ist ein offenes, schon sehr oft durchgeblättertes Buch für mich.

Kling Klang im Wiener Walzer-Schritt

Ich kenne hingegen keinen Namen eines Mauertoten. Ich weiß, dass Wolf Biermann ausgebürgert wurde, seine Lieder kenne ich nicht. Um alle Staatsoberhäupter der DDR aufzuzählen, bräuchte ich wohl eher ein Smartphone als ein bisschen Konzentration. Ich habe kaum einen DEFA-Film gesehen und kann mich nicht erinnern, dass überhaupt einer in diversen »Die besten Filme der letzten Jahre«-Reihen vorkam. Ich singe Keimzeits »Kling Klang« zwar laut mit, wenn ich betrunken bin, aber wenn ich verkatert bin, höre ich Element Of Crime. Ich kenne das Bild, wie Honecker einen Russen küsst. Aber wie hieß der gleich? Und was haben die Leute im Osten eigentlich in den 70ern gemacht – außer sich gegenseitig abgehört und verpetzt, außer für Bananen angestanden, außer nackt zu baden, wie es die wenigen Geschichten, die erzählt werden, gerne wiederholen? Weiterlesen

Blogs, Bier und Bekloppte

Es ging um Petitionen, um Netzpolitik und Katzenvideos. Bei der Re:publica in Berlin trafen sich 5.000 Menschen, um über alles zu reden, was mit dem Internet zu tun hat. Dass sie alle einen Hang zur leichten Beklopptheit haben, macht die Sache nur schöner. Und die Devise lautet: Machen!

Beginnen wir mit dem Ende. Da stehen sie dann also alle da, die Menschen aus dem Internet. Etwa 5.000 Menschen singen völlig schief, laut und voller Inbrunst »Bohemian Rhapsody« und freuen sich wie kleine Kinder, als ein Papierfeuerwerk in die Menge geschossen wird. Es ist der krönende Abschluss der dreitägigen Konferenz, die sich selbst auch »Das Ereignis« nennt.

Multi-view Bohemian Rhapsody at re:publica 2013 from rha:publica on Vimeo.
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Wenn Altmaier sein Handy aushat

Das Leistungsschutzrecht am Beispiel von Heldenstadt

»Entschuldigung, aber die Seite konnte leider nicht gefunden werden.« So steht es da, wenn man auf heldenstadt.de versucht, die Beiträge aus den letzten Wochen und Monaten aufzurufen. Grund dafür ist das Leistungsschutzrecht für Presseverlage (LSR), dem am Montag nun auch der Bundesrat zugestimmt hat und wegen dem die Macher des Blogs befürchten, Post von Anwälten zu kriegen. Und darauf, erklärten sie, »haben wir keinen Bock«.

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Die Lyrik in den Lyrics

Welche Bücher lesen Musiker, bevor sie Lieder schreiben? Dieser Frage bin ich im Auftrag des Deutschlandradios Kultur nachgegangen, habe mit Dirk von Lowtzow darüber geredet, warum Michael Ende unser Leben zerstört hat, mir von Brockdorff Klang Labor  das Gesamtwerk von Wolgang Borchert nahelegen und von Ja, Paniks Sänger Andreas Spechtl den Selbstmord von Jean Améry beschreiben lassen.

Die 1941 verstorbene Virginia Woolf inspiriert mit ihren Texten die Band Brockdorff Klang Labor.
Virginia Woolf kommt natürlich auch vor…

Wegen der mir nicht ganz verständlichen Urheberregeln des Deutschandradios kann man hier leider nur das Manuskript herunterladen. Wer die gesamte halbstündige Sendung samt Musik HÖREN möchte, gebe kurz Bescheid, dann lasse ich ihm die „für den privaten Gebrauch“ zukommen. Oder spiele sie ihm auf meinem Kassettenrekorder vor.

Haut die Uhren auf den Hinterkopf

„Wer Musik nur zum Spaß macht, der wird jung sterben“. So proklamieren es die Kings of Dubrock, und sind selbst der lebende Gegenbeweis dieser angeblich von Fela Kuti stammenden These. Denn ihre Musik ist ein einziger Spaß zwischen Sinnfreiheit und wohlformulierten Sätzen. Jung gestorben sind sie glücklicherweise dennoch nicht, sondern standen und tanzten quicklebendig auf der Bühne des Conne Island.

https://i0.wp.com/blog.zeit.de/tontraeger/files/2012/08/dubrock-540x304.jpg

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Erst in Schweden, dann im Radio

Ich war beim Way Out West Festival in Göteborg. Da war da ganz anders als bei diesen stinkigen, dreckigen, suffverseuchten Festivals hierzulande. Aber hört selbst, ich stand den Leuten von detektor.fm Rede und Antwort.  Mehr zu diesem Festival schrieb ich auch in der taz, was man  unter „No exzess,please“ nachlesen kann.